Donnerstag, 11. August 2016

Nashörner in Bern

Das skurrile Nashorn mit dem lebendigen Auge (Bild: fv)

Schon einmal waren sie da, und sie kommen wieder. Wahre und fabulierte Geschichten um
Dickhäuter. 


Warum habe ich das noch nie gesehen? Gerade neben der Haustüre, dieses Fabeltier? Mein Enkel und ich sind uns einig: Ein Nashorn ist das – auch wenn es vielleicht etwas Fantasie braucht, um es zu erkennen. Was es doch für lebendige, farbige Augen hat! Das mit dem
Horn ist natürlich etwas weit hergeholt – jemand meinte, es gleiche eher einem Elefantenrüssel.

Gleichviel – es ist ein Nashorn.

Es gab mal Nashörner in Bern

1850 grub man mit Schaufeln und Pickeln unterhalb der Inneren Enge in Bern den Sandstein und Mergel ab, um die Tiefenaustrasse zu bauen. Die dabei gefundenen Versteinerungen wurden allerdings zum Teil zerstört, aber dennoch dem Naturhistorischen Museum in Bern übergeben. Darunter waren auch die Überreste eines Nashorns; ein Schädel, ein vollständiger Unterkiefer, Zähne und Einzelknochen. Die Funde stammen aus dem Miozän und sind etwa 20 bis 23 Millionen Jahre alt.

Etwa 20 Mio. Jahre alt: Nashornschädel im Naturhistorischen Museum Bern.
Bild fv, mit Erlaubnis des Naturhistorischen Museums Bern
Mit spürbarem Engagement berichten Verantwortliche des Naturhistorischen Museums, mit welcher Rücksichtslosigkeit die Habgier die Menschen dazu treibt, die noch frei lebenden Nashörner zu jagen. Bald werden sie, trotz aller Schutzmassnahmen, ausgerottet sein. Sogar Museen ersetzen bei ihren Präparaten die Hörner durch Attrappen aus Holz, weil echte Hörner auch schon bei Einbruch-diebstählen entwendet worden sind.

Interview mit einem Nashorn

In diesem Zusammenhang steht die Erinnerung an ein fiktives Interview mit einem Nashornbullen, gelesen im Magazin „ZeitWissen“ Nr. 2, Februar-März 2016 (Seiten 38-43). Armin Püttger-Conradt, ein engagierter Nashornschützer, verwandelt sich in den Interviewpartner, einen Nashornbullen. Er gibt Auskunft über historisches und gegenwärtiges Verhalten und die Lebensweise der verschiedenen Nashornarten und geisselt das Vershalten der Menschen, die glauben, ihr Egoismus sei wichtiger als das Zusammenleben in der Natur, deren biologischer Reichtum und ein natürliches Gleichgewicht der Arten. „Die Menschen halten sich für Götter“ – „Ein Nasenhorn ist mehr wert als Gold“ – „Hört auf, euch selbst zu täuschen. Hört auf, euch einzureden, dass es alles zu kaufen gibt. Denkt daran, dass diese fantastische Entwicklung, die der Mensch durchgemacht hat, auf Kosten anderer geht, wenn man nicht aufpasst“. Soweit die ausgewählten Zitate.

Die Nashörner und das Groteske

Alle diese Verknüpfungen entwickeln und verstärken sich anlässlich der Medienorientierung im Asienraum des Naturhistorischen Museums. Gastgeber ist neben dem Museumsteam das Berner Theater Gurten. Dessen Leiterin Livia Anne Richard hat für diese Saison Eugène Ionescos (1912-1994) „Die Nashörner“ ausgewählt. Ihre Berndeutsch-Fassung stützt sich vor allem auf die französische Originalfassung, 1959 erschienen. Die deutsche Fassung, von Claus Bremer (er wirkte in den 1950-er Jahren kurze Zeit auch in Bern) und H.R. Stauffacher, erschien 1960 im Luchterhand-Verlag und 1964 erstmals als Fischer- Taschenbuch (26. Auflage: 2015).

Man hat allerlei in die Bedeutung dieses exemplarischen Werks des französischen Avantgarde-Theaters hineingedeutelt.Interessant ist, wie sich  das Stück in Livia Anne Richards Bearbeitung und Inszenierung in der Freilicht-Arena auf dem Gurten präsentiert. Jedenfalls sind die Nashörner des absurden Theaters von Ionesco keine bedrohte Tierart. In einer Art Spiegelung des aussterbenden Tieres in eine groteske Rückwärts-Metamorphose hat Ionesco „die Ausbreitung des politischen
Fanatismus wie die einer Epidemie in seinen Tagebüchern (...) verzeichnet und dort schon das Bild von den Nashörnern gebraucht (...)“, wie François Bondy im Klappentext des Fischerbuches zitiert wird.

Sommerbücher

Christa Wolf, Siri Hustvedt und Volker Weidermann – sie nähern sich dem Begriff „Sommer“ von verschiedenen Seiten seiner Bedeutung.
 
„Sommer“. Am Strand, auf dem Balkon, unter dem Sonnenschirm, ein Buch in den Händen. Die Luft duftet, kühlende Atemzüge des Windes streichen über die Haut.
Es gibt sie seit Zeiten, diese Autoren, welche den Zauber des Sommers berühren lassen. Theodor Storms den Sommerhut in den Händen tragende, vom Gesang der Nachtigall ins Grübeln gestürzte Frau, die nicht weiss, was beginnen, ist nur eines von zahlreichen idyllischen und poetischen Beispielen. Der Sommer, den Rilke so gross preist, gehört ebenso dazu, wie das Blatt aus sommerlichen Tagen, das sich so im Wandern mitnehmen lässt, um uns „dereinst zu sagen, wie laut die Nachtigall geschlagen, wie grün der Wald, den ich durchschritt“ (nochmals Storm, man verzeihe).

Sommer des Abschieds

Cover des Suhrkamp-Taschenbuchs,
3. Auflage 2013,
ISBN 978-3518-45941-6


„Sommerstück“ von Christa Wolf (1929-2011) erschien im Jahr des Mauerfalls (1989) zum ersten Mal im Aufbau-Verlag Berlin und Weimar (damals noch DDR). Einige interpretierten den Roman gleich als den literarisch sublim verarbeiteten Abschied von der DDR, an welcher schon damals, nicht erst heute, wo DDR-Nostalgie salonfähig geworden ist, Christa Wolf auch Positives sah. Das vorliegende Suhrkamp Taschenbuch (1. Auflage 2008) enthält jedoch einen Kommentar der Autorin, der diese Interpretation nicht stützt: „Dieser Text wurde in seinen frühen Fassungen bis 1982/83 niedergeschrieben ... Er wurde 1987 für den Druck überarbeitet. (...)“


Trotzdem ist es die Geschichte eines Abschied-Sommers. Frauen und Männer sitzen fröhlich zusammen, feiern in einem abgelegenen mecklenburgischen Dorf („...das die Form eine Katers hat...“) ihre Sommerabendfeste mit Wein und gutem, selbst gebackenen und gegrillten Essen. Sie kommen aus der Stadt, mieten und kaufen Häuser, bauen sie um, sichten sie ein. Die Geschichte und ihre Geschichten könnt man fast banal verstehen, hätte die Autorin nicht eine einzigartige Gabe. Sie versteht es, neben einer vielseitigen Symbolik, welche die Erzählung prägt, kunstvoll die Schatten einer Zukunft einzuweben, in der alles bereits verloren ist. Schon im ersten Abschnitt des Textes: „Jetzt, da alles zu Ende ist...“ – „Jetzt, da Luisa abgereist, Bella uns für immer verlassen hat, Steffi tot ist, die Häuser zerstört sind, herrscht über das Leben wieder die Erinnerung.“
Immer wieder sind solche erzählerische Reminiszenzen eingeflochten. Sie halten eine Art von melancholischer Abschieds- und Verluststimmung wach und holen sie immer wieder aufs Neue hervor. Da gibt es Menschen, die sich freuen und auch leiden, sei es an zukunftsloser Krankheit oder an sich selbst, an ihrer eigenen Unfähigkeit, die Bedeutung dieses Sommers zu einer sozusagen alltäglichen Sache zu verfestigen. So wie sie ihre Häuser vor dem Zerfall baulich retten. Man kann sie richtig lieben, Christa Wolfs Kunst, vom Inneren und Äusseren, vom Gegenwärtigen und Vergangenen zu berichten. Mit einem Reichtum an sprachlichem Ausdruck und an eindrücklichen, sinnlichen Bildern, welche der Autorin zu Recht die Würde einer Dichterin verleihen.
Es gibt ein paar besonders beeindruckende Stellen in dieser Erzählung. Sie bilden ab, lassen Handlung werden, was Christa Wolf – übrigens auch in anderen Erzählungen, zum Beispiel in „Kein Ort. Nirgends“ – über Innenwelten und Aussenwelten weiss und verständlich darzustellen imstande ist. Was für eine Symbolkraft liegt doch in den Schilderungen des Umgangs mit den Kindern! Welche irrationale Bedeutung liegt in der Schilderung der Aufführung des improvisierten Theaterstücks durch die Freunde und die Kinder! Da spiegeln sich diese Innenwelten und Aussenwelten der doch oft in gespannten Beziehungen zueinander Stehenden, da kippt die fiktive Theaterhandlung in die Wirklichkeit und  wieder zurück. – „Sommerstück“, ein wundersames Gleichnis von Leben und Vergehen, von Ankunft und Abschied...

Sommer des Wiederfindens


Cover des Buchs, deutsch von Uli Aumüller
(„The Summer Without Men“, 2011).
Rowohlt Verlag, Hamburg 2011;
ISBN 978-3-498 03020 0.

 
„Ein Sommer ohne Männer“ – einen solchen beschreibt die Amerikanerin Siri Hustvedt (geb. 1955), eine so intelligente, belesene wie wortgewandte Schreiberin. Alle ihre Bücher – „Die unsichtbare Frau“, 1993, „Was ich liebte“, 2003, „Die zitternde Frau“, 2010, „Die gleissende Welt“, 2015 (als bisher letztes Buch erschienen, noch nicht gelesen) – gehen aus von einer Spannung zwischen Mann und Frau, zwischen psychischen und verhaltensmässigen Konflikten, die einerseits in der menschlichen Natur, andererseits aber auch in den gesellschaftlichen Normen und Vorgängen liegen. Diese Erzählungen und Berichte sind zum Teil auch eine Art Mischung zwischen Krankengeschichte, Selbsterforschung und Rechenschaftsablage.
Im vorliegenden Buch schildert die Autorin eine „Pause“. Ein Begriff, der sowohl die Eröffnung des Gatten Boris, er brauche eine solche von der Ehe, als auch die Ursache dieses Bedürfnisses bezeichnet, die junge Kollegin des Neurowissenschaftlers.
Als erstes versinkt die schockartig Verletzte in einen stationär zu behandelnden Nervenzusammenbruch. Dann folgt schrittweises Aufrappeln und Wiederherstellen weitab vom Wohnort New York, in einem gemieteten Haus in der Provinz, nahe ihrer Mutter, die in einem Seniorenheim lebt.
Katalysatoren der persönlichen Wiederherstellung der seelisch verletzten preisgekrönten Dichterin Mia sind die Menschen ihrer Umwelt. Neben der Mutter spielt vor allem die eigene Tochter, Schauspielerin in einer Sommer-Produktion, eine grosse Rolle. Beinahe ebenbürtig in Bedeutung und Wirkung stehen auf der einen Seite die drei hochbetagten Freundinnen der Mutter, auf der anderen die sieben Mädchen einer Ferienkurs-Klasse mit dem Thema „Gedichte schreiben“. Was die Autorin da an feinfühligen Einzelheiten bei den Alten wie bei den Jungen zusammenträgt und ergründet, zeugt von psychologisch wie empathisch hoch entwickelter Kunst im Ausdenken und Beschreiben. Zahlreiche eingewobene Zitate aus der Weltliteratur wirken auch nicht in Ansätzen so, als wollte Siri Hustvedt sozusagen ihre umfassende Bildung auf diesem Gebiet dokumentieren.
Neben den pubertären Mädchen ihres Kurses hat auch hier, wie Christa Wolfs Littelmary im „Sommerstück“, das kleine Mädchen Flora eine wichtige formale und erzählerische Funktion. Die Verwandtschaft der beiden kindlichen Gestalten als Leitmotive in den Werken der beiden Frauen ist vor allem auch in dieser Verbindung untereinander recht interessant und regt zum Nachdenken an.

Sommer des Zusammenbruchs


Cover des Buchs, btb Verlag, 2015.
ISNB 978-3-442-74891-4

 
1936 befand sich ein Kreis von Vertriebenen aus den von Nationalsozialisten beherrschten oder beeinflussten Gebieten in Ostende, bevor sie sich nach diesem Sommer in die endgültige Emigration absetzten, vorwiegend in die USA. Stefan Zweig (1881-1942) und sein Freund Joseph Roth (1894-1939), dessen Geliebte Irmgard Keun (1905-1982) weilten dort, neben manch anderen illustren Intellektuellen und Künstlern, aus jüdischen oder anderswie von den Nazis verfolgten Kreisen. Irmgard Keun zum Beispiel war zwar Arierin. Sie versuchte, gegen Bücher- und Arbeitsverbote der Nazis zu kämpfen, indem sie mehrere Klagen vor deutschen Gerichten einreichte – erfolglos natürlich. Doch so wurde sie ebenfalls zur Verfolgten.
 
Volker Weidermann (geb. 1969), vormals Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, seit Mai 2015 beim „Spiegel“, beschreibt so weitläufig wie spannend sowohl alle diese Persönlichkeiten als auch die zum Teil in mancherlei Hinsicht miserable Lage, in welche sie der Lauf der Zeiten und die teils hasserfüllten, teils grossmäulig unbedarften Aktivitäten ihrer Verfolger gebracht haben. Im Taschenbuch, 2015 erschienen, verweist er auf Stefan Zweigs „Welt von Gestern“ und auf das Jahr 1914, wo der anerkannte, ja berühmte deutsche Autor zum ersten Mal aus dem Bade- und Kurort Ostende Hals über Kopf ausreiste, zurück nach Wien, wo er die Vorgänge um den Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wie viele Andere leider auch, patriotisch, begeistert, berauscht kommentierte. „Ostende 1936, Sommer der Freundschaft“ schildert die unheilschwangeren Tage im Zusammenhang mit den Ereignissen vor dem Zweiten Weltkrieg. Hitler marschiert ins Rheinland ein und kündigt die Locarno-Verträge; der spanische Bürgerkrieg bricht aus und mutiert sofort zu einer Art Stellvertreterkrieg; der Einmarsch in Österreich zeichnet sich ab und der Kriegsausbruch lässt sich ahnen. Einzelne der Freunde, die sich zum letzten Mal in Ostende treffen, gesellen sich in Spanien zu den antifaschistischen Kämpfern, andere vereisen schon jetzt in die Emigration.
Es gelingt Volker Weidermann, die bedrohliche Welt-Stimmung und den unter ihr teils bangenden, teils hoffenden Freundeskreis in aussagekräftige Beziehungen zu bringen. Tage vor dem Untergang des Alten Europas verbindet er mit der ausschweifend leidenschaftlichen Liebesgeschichte von Joseph Roth mit der jungen Irmgard Keun, die dem Autor von „Hiob“ und „Radetzkymarsch“ höchste Erfüllung nebst dem vollkommenen Verlust der Kontrolle über seine Alkoholsucht bringt.
Neue Verlage müssen des Berufs- und Publikationsverbots in Deutschland wegen gesucht werden. Die ganze Sache ist (wiederum!) eine Geschichte des Abschieds, mehr noch, des Zerfalls. Und wiederum ist es eine Art von „Letztem Sommer“. Klingt’s da nach Hölderlin? „Nur einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen! (...)“. (Erste Zeile von „An die Parzen“.) Doch – obschon dieses Sommerbuch als literargeschichtliches Sachbuch gelten kann – es klingt auch nach der Abschieds-Wehmut von „Sommerstück“. Und als letztes erinnert man sich in diesem Zusammenhang an Churchills Worte bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs: „Die Lichter in Europa sind heute ausgegangen, und nicht mancher, der dabei ist, wird erleben, wie sie wieder angehen“. 

Mittwoch, 23. April 2014


Generationendialog auf der Bühne 

 Im Berner Theater Matte:
"Reden mit Mama".
Verkrampft und auch wieder entspannt



Jordi Galceran, geb. 1964 in Barcelona, ist Autor dieser Tragikomödie (mit Schwergewicht auf „Komödie“). Beileibe nicht als erster erforscht er die Spannungen zwischen Eltern und (erwachsenen) Kindern; das ist seit dem Klassischen Altertum ein Thema, das die Gemüter bewegt. Diesmal geht es um die Konfrontation mit der noch stärker psychologisch belasteten Beziehung zwischen Mutter und Sohn. Livia Anne Richard erarbeitet eine Berndeutschfassung, die dem streitenden und wiederum auch versöhnlichen Paar in allen Fanfaren- und Zwischentönen Profil verleiht. Regisseur Oliver Stein entfaltet auf der Bühne den ganzen Strauss von Konflikten, Lösungsversuchen, Aufbegehren und Ausweichen, Abwehren und Zuwenden mit viel prickelnden Momenten des Schmunzelns und verblüffenden Ausbrüchen von Witz, der Lachen auslöst.

Tiefsinnigkeit, die amüsiert 


Marianne Tschirren, die resolut standfeste Mutter im Altersblühen einer beglückenden neuen Liebe, und Remo La Marra, der widerspenstige rund 35-jährige Sohn in mancherlei materiellen und ehelichen Nöten – beide entfachen ein spielerisches Feuerwerk; sozusagen wie ein wenig Strohfeuer gemischt mit viel gut getrockneter Hartholz-Glut. Der ganzen Klaviatur von Tönen, Obertönen, Verschleierungen von mehr oder minder schmerzlichen seelischen Berührungen und Verletzungen folgen die Zuschauer so, wie es vor allem das Kammerspiel am liebsten hat: Als drittes Team dieses agilen und wendigen Stellungs- und Dialogspiels im Theaterraum folgen sie gelöst, interessiert und bereit. Auf jede vorhergesehene oder ungeahnte Wendung der Handlung, des Gesprächs, des Streits und der behutsam angestrebten gegenseitigen Wertschätzung und Toleranz reagiert das Auditorium. Das bereitet ihm selbst und den beiden Gegnern in diesem fast dialektischen Spiel auf der Bühne sichtlich Freude.

Doch Autor, Regisseur und Protagonisten zelebrieren beileibe keine einseitige Spassmacher-Unterhaltung. Da sind auch Töne von ernsthafter Art im Komödienhaften enthalten. Ein Mitleiden schwingt da manchmal im Raum, eine behutsame Scheu, nicht zu verletzen, ein Bemühen, sich zurück zu nehmen, Achtung und Liebe nicht mit Räsonieren zu übertönen. Der Aufbau des Stücks mit seinen zwei deutlich verschieden geprägten Teile verdeutlicht fast ein wenig zu betont das labile Gleichgewicht dieser Mutter-Sohn (und umgekehrt)-Beziehung. 
Jede gute Komödie enthält einen Schatten von Tragik sozusagen als Würze. Hier wird wie in einem Lehrbeispiel gezeigt, wie viel Versöhnung sein muss, damit Leben nicht fade abstirbt.

Noch bis 11. Mai im Theater Matte Bern
Bilder: © Hannes Zaugg-Graf  
(Marianne Tschirren, Remo La Marra)

Fritz Vollenweider





Freitag, 18. April 2014

Durchgänge und Übergänge 

Vielseitige Videokunst, die spirituelle Fragen stellt und verinnerlichte Erfahrungen sichtbar macht.



Einer der ersten, der nach 1973 mit dem Medium Video zu arbeiten beginnt, ist Bill Viola, geboren 1951 in New York. Bereits in den 1990-er Jahren schafft das Kunstmuseum Bern seine Werke an, was heute spannenden Einblicke in eine beispielhafte künstlerische Entwicklung erlaubt.
Ursprünglich (etwa 1973-1990) interessierte den Künstler vor allem die Spannung zwischen der filmischen Darstellung als gestaltungstechnische  Möglichkeit und der Art und Weise von sinnlicher Wahrnehmung. Vier Videofilme von 7, 28, 54 und 56 Minuten Dauer laufen im Kunstmuseum. Sie zeugen von einer vielseitig konzipierten Gestaltungsweise, sowohl technisch wie visionär. Sie zeigen aussagekräftige Verbindungen von formalen Elementen und Bildern mit der Zeit und der Zeiterfahrung. Einerseits Zeit als beschleunigter, realer oder verzögerter Ablauf, andererseits Zeit als verinnerlichte, individuelle Erfahrung, ist sie eine bedeutungsvolle Komponente von Bill Violas Bildsequenzen. Die Botschaften und deren „Überbringer“, die einzelnen  Werke, erscheinen alle in verschiedenen optischen und rhythmischen Grundtönen. Damit erreichen sie die Betrachter nicht nur als Objekt zum Anschauen, vielmehr sprechen sie in ihnen innerste Erlebensfähigkeit an. Bewusstes und Unbewusstes scheinen sich gegenseitig zu bewegen. Neue Verknüpfungen und intensive Erfahrungen stellen sich ein.

Zwei Ausstellungsorte

„Passions“ evoziert die gegenwärtige Passionszeit. Der englischsprachige Begriff hat jedoch auch die Bedeutung von Leiden, Durchgang, Übergang. Die Idee, das Berner Münster als zweiten Ausstellungsort einzubeziehen und die spontane Unterstützung der Münster-Betriebsleitung dafür bedeuten deshalb einen ausserordentlichen Glücksfall. Der Künstler wendet sich nach 1990 vermehrt verschiedenen Daseinsthemen der Menschheit zu. Sichtbar gemacht werden spirituelle Fragestellungen und Erfahrungen von Durchgang, Übergang, Geburt, Tod, Erinnern und Bewusstwerden.
Verse von Rilke begleiten mich, wenn ich mich in diese zutiefst lebensvollen Darstellungen versenke: „...vom letzten Spiegel, der sein Becken leis von unten lächeln macht mit Übergängen.“ (‚Römische Fontäne’). Das sei angeführt als Beleg für die sich immer wieder neu einstellenden Verknüpfungen nicht zuletzt auch mit dem Unbewussten.

Die ausgezeichnete Publikation zur Ausstellung enthält Beiträge von Kathleen Bühler, Kuratorin der Präsentationen im Kunstmuseum, und Martin Brauen, Ethnologe und Kurator im Münster. Bill Viola selbst kommentiert die Ausstellungsobjekte, was dazu beiträgt, die Aussagen und Abläufe gründlich zu erleben und mit eigenen Meditationen zu verknüpfen .

Die Werke seien zwar spirituell, doch nicht eigentlich religiös, liest man dort. Trotzdem treten die fünf Videos im Münster in Dialog mit traditionellen christlichen Darstellungen. Mit unsichtbaren „Verknüpfungslinien“ oder „Lebenslinien“ zu benachbarten Glasfenstern und Skulpturen wird Bill Violas Absicht veranschaulicht, an die grossen Meisterwerke abendländischer Kultur und deren Beschäftigung mit Vergänglichkeit zu erinnern. 



Bill Viola erweist sich auch als Mystiker, und zwar über die christliche Mystik hinaus, obschon er immer wieder Entsprechungen zu historischen abendländischen, christlichen Darstellungen aufzeigt. Seine Versenkung in meditative Bewusstseinsräume umschliesst durchaus auch Bezüge zu andern religiösen Formen und Inhalten, die er auf seinen Reisen überall in der Welt kennen lernt. Mit grosser Intensität gestalten die fünf Installationen im Münster rituelle Themen wie Waschung oder Reinigung („Ablutions“), Wandlung („Three Women“), Leiden und Anteilnahme.
Martin Brauen zeigt in der Publikation eine Gegenüberstellung und damit auf wortlos eindrückliche Art diese Brücken von Jetzt zu Früher (1425, 1526).
Eine glückliche Idee ist auch die Integration der Publikation in den Eintrittspreis: Im Münster ist der Eintritt frei, das Büchlein (86 Seiten im A-6 – Format) kostet Fr. 7.00; im Kunstmuseum kostet der Eintritt Fr. 14.00, Buch inbegriffen, oder Fr. 7.00, wenn man die Publikation bereits zur Hand hat.
Bill Violas Werke mit allen formalen und inhaltlichen Details versteht man dank diesen unschätzbaren Informationen um einiges gründlicher und umfassender. Auch wenn damit spontane persönliche Auseinandersetzung nicht wertlos wird.  ill Viola Studio

Bis 20.07.2014 im Berner Münster und im  Kunstmuseum Bern