Durchgänge und Übergänge
Vielseitige Videokunst, die spirituelle Fragen stellt und verinnerlichte Erfahrungen sichtbar macht.
Einer der ersten, der nach 1973 mit dem
Medium Video zu arbeiten beginnt, ist Bill Viola, geboren 1951 in New York. Bereits
in den 1990-er Jahren schafft das Kunstmuseum Bern seine Werke an, was heute spannenden
Einblicke in eine beispielhafte künstlerische Entwicklung erlaubt.
Ursprünglich (etwa 1973-1990) interessierte
den Künstler vor allem die Spannung zwischen der filmischen Darstellung als
gestaltungstechnische Möglichkeit und
der Art und Weise von sinnlicher Wahrnehmung. Vier Videofilme von 7, 28, 54 und
56 Minuten Dauer laufen im Kunstmuseum. Sie zeugen von einer vielseitig
konzipierten Gestaltungsweise, sowohl technisch wie visionär. Sie zeigen
aussagekräftige Verbindungen von formalen Elementen und Bildern mit der Zeit
und der Zeiterfahrung. Einerseits Zeit als beschleunigter, realer oder verzögerter
Ablauf, andererseits Zeit als verinnerlichte, individuelle Erfahrung, ist sie
eine bedeutungsvolle Komponente von Bill Violas Bildsequenzen. Die Botschaften
und deren „Überbringer“, die einzelnen
Werke, erscheinen alle in verschiedenen optischen und rhythmischen
Grundtönen. Damit erreichen sie die Betrachter nicht nur als Objekt zum
Anschauen, vielmehr sprechen sie in ihnen innerste Erlebensfähigkeit an. Bewusstes
und Unbewusstes scheinen sich gegenseitig zu bewegen. Neue Verknüpfungen und
intensive Erfahrungen stellen sich ein.
Zwei Ausstellungsorte
„Passions“ evoziert die gegenwärtige
Passionszeit. Der englischsprachige Begriff hat jedoch auch die Bedeutung von
Leiden, Durchgang, Übergang. Die Idee, das Berner Münster als zweiten
Ausstellungsort einzubeziehen und die spontane Unterstützung der
Münster-Betriebsleitung dafür bedeuten deshalb einen ausserordentlichen
Glücksfall. Der Künstler wendet sich nach 1990 vermehrt verschiedenen
Daseinsthemen der Menschheit zu. Sichtbar gemacht werden spirituelle
Fragestellungen und Erfahrungen von Durchgang, Übergang, Geburt, Tod, Erinnern
und Bewusstwerden.
Verse von Rilke begleiten mich, wenn ich
mich in diese zutiefst lebensvollen Darstellungen versenke: „...vom letzten
Spiegel, der sein Becken leis von unten lächeln macht mit Übergängen.“
(‚Römische Fontäne’). Das sei angeführt als Beleg für die sich immer wieder neu
einstellenden Verknüpfungen nicht zuletzt auch mit dem Unbewussten.
Die ausgezeichnete Publikation zur
Ausstellung enthält Beiträge von Kathleen Bühler, Kuratorin der Präsentationen
im Kunstmuseum, und Martin Brauen, Ethnologe und Kurator im Münster. Bill Viola
selbst kommentiert die Ausstellungsobjekte, was dazu beiträgt, die Aussagen und
Abläufe gründlich zu erleben und mit eigenen Meditationen zu verknüpfen .
Die Werke seien zwar
spirituell, doch nicht eigentlich religiös, liest man dort. Trotzdem treten die
fünf Videos im Münster in Dialog mit traditionellen christlichen Darstellungen.
Mit unsichtbaren „Verknüpfungslinien“ oder „Lebenslinien“ zu benachbarten
Glasfenstern und Skulpturen wird Bill Violas Absicht veranschaulicht, an die
grossen Meisterwerke abendländischer Kultur und deren Beschäftigung mit
Vergänglichkeit zu erinnern.
Bill Viola erweist sich auch
als Mystiker, und zwar über die christliche Mystik hinaus, obschon er immer
wieder Entsprechungen zu historischen abendländischen, christlichen
Darstellungen aufzeigt. Seine Versenkung in meditative Bewusstseinsräume
umschliesst durchaus auch Bezüge zu andern religiösen Formen und Inhalten, die
er auf seinen Reisen überall in der Welt kennen lernt. Mit grosser Intensität
gestalten die fünf Installationen im Münster rituelle Themen wie Waschung oder
Reinigung („Ablutions“), Wandlung („Three Women“), Leiden und Anteilnahme.
Martin Brauen zeigt in der Publikation eine
Gegenüberstellung und damit auf wortlos eindrückliche Art diese Brücken von
Jetzt zu Früher (1425, 1526).
Eine glückliche Idee ist auch die
Integration der Publikation in den Eintrittspreis: Im Münster ist der Eintritt
frei, das Büchlein (86 Seiten im A-6 – Format) kostet Fr. 7.00; im Kunstmuseum
kostet der Eintritt Fr. 14.00, Buch inbegriffen, oder Fr. 7.00, wenn man die
Publikation bereits zur Hand hat.
Bill Violas Werke mit allen formalen und
inhaltlichen Details versteht man dank diesen unschätzbaren Informationen um
einiges gründlicher und umfassender. Auch wenn damit spontane persönliche
Auseinandersetzung nicht wertlos wird. ill Viola Studio
Bis 20.07.2014 im Berner
Münster und im Kunstmuseum
Bern
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