Donnerstag, 30. Juni 2011

Wir Kinder der Neunziger – Juwelen und Trash aus dieser Zeit

Ist das gute „alte“ literarische Cabaret wieder auferstanden?

Zwei Frauen, rund dreissig Jahre alt, bereiten auf, was sie als Teenies wohl erlebt, jedoch kaum so stark reflektiert haben: Sibel Hartmann und Julia Katharina Maurer. Juwelen und Trash, beides eben. Positive und negative Identifikationsfiguren treten imaginär auf. Ein Klavier, ein stilisiertes Rednerpult, ein einfaches Podest. Cyrill Mamin, der Mann am Klavier (es ist das gewichtigste Requisit auf der Gewölbebühne) steuert akkurate Musik zu den szenischen Performances der beiden Damen bei.
Das Ono-Theater ist voll. (Es ist das Gewölbe, in welchem vor 55 Jahre meine Theaterbegeisterung ihren Anfang nahm; ich war Vorhang-Zieher). Der Abend riss mich zu nicht nur nostalgischer Begeisterung hin: Die überwältigende Mehrzahl der Besucher sind Jugendliche (sofern es erlaubt ist, aus der Sicht des Steinalten auch 30-38 Jahre zählende Menschen dazu zu rechnen). Und ich fühlte mich wieder jung, wie vor 55 bis 45 Jahren. Meine Güte, was für ein intellektuelles, intelligent getextetes und szenisch durchkomponiertes Theater (ist es Theater? ja, doch sehr zeitgemässes)! Duktus, Szenenfolge, Verwendung der Technik und der Sprache (ja, viel Englisch) entspricht der Alterslage des Publikums. (Es entspricht durchaus auch jung gebliebenen älteren Theaterfreaks.) Ich hätte als Dreissigjähriger genau so viel Vergnügen gehabt, wie heute und wie das lebhaft applaudierende Publikum: Das war den Heutigen (und den schon ein wenig nostalgisch verklärten, heute zehn Jahre älteren ehemaligen Teenies der Neunziger) voll aus der Seele gestaltet.
Nein, nicht das gute alte literarische Cabaret steht wieder auf. Es ist ein neues, zeitgemässes szenisches Abenteuer, das entsteht. Es dürfte viel Zukunft haben, verfolgte man es weiter. Die Wirkung, der Charme und die packende Vielseitigkeit, auch wegen des geschickten Einbezugs der Technik, vermittelt ein einmaliges Erlebnis.
Ihr drei auf – und alle ihr hinter der Bühne oder davor Wirkenden: Herzlichen Glückwunsch, und grossen Dank für einen begeisternden Abend!
fv März 2011

Leseanimatorin i. A.

Bis jetzt glaubte ich, ich könne lesen; ich habe es auch schon jahrelang immer wieder getan; meistens mit Vergnügen und Gewinn.
Nun lese ich aber heute im offiziösen „Anzeiger Region Bern“, was meine Wohngemeinde an Erwachsenenbildung veranstaltet. Am Anfang der Liste steht:
„Zum Lesen verführen!
Kursleitung:       (xy), Bibliothekarin, Leseanimatorin i. A.
(etc.)“
Dass man heutzutage, in der Ära der Ohrwürmer und Bildwiedergabegeräte, wohl schon zum Lesen verführen muss, leuchtet mir widerstrebend ein. Doch: Geht jemand, den man zum Lesen erst mal verführen müsste, wirklich in einen solchen Kurs?
Immerhin ist da ein neuer Beruf entstanden: „Leseanimatorin i. A.“ Wobei „i.A.“ wohl eher „in Ausbildung“ als „im Auftrag“ oder gar „in Adliswil (oder auch Adelboden)“ bedeutet.
Da gerate ich halt recht ins Grübeln und breche damit doch besser gleich wieder ab.

Mein Problem mit dem Lesen

    

Mein Problem mit dem Lesen besteht darin, dass ich es nicht mehr fertig bringe, ein ernsthaftes literarisches Werk oder auch ein Sachbuch sozusagen in einem Zug zu lesen – unterteilt zwar, auf verschiedene Tage verteilt, aber doch immer mit grossem Atem.
Immer wieder fühle ich mich bemüssigt, zu analysieren, zu notieren, mir wichtige Zitate aufschreibend zu bewahren. Damit verliere ich viel Zeit; ich lese endlos an einem Buch und verliere die ganze Struktur, den Aufbau und letztlich gar die Haltung, die Sprache und den Inhalt aus dem Sinn.
Drei Jahre lang schon lese ich in Pessoa, Das Buch der Unruhe…, und noch immer ist das Werk nicht fertig gelesen.
Einfach so vor mich hin lesen, neugierig, gespannt wie es herauskommt – ich schaffe das einfach kaum mehr.
Warum?
Ja, darüber muss ich jetzt nachdenken. 
fv 21.01.2010